In der Schweiz gibt es erste Ansätze einer Evaluierung der Pandemiepolitik. In Österreich und Deutschland lässt dies weiter auf sich warten.
Während die Schweiz sich einmal mehr offener zeigt, Lehren aus dem bisherigen Pandemiemanagement zu ziehen, gibt es in Deutschland Anzeichen der Lernverweigerung. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat 2020 eine externe „Evaluation über die Bewältigung der Covid-19-Pandemie bis im Sommer 2021“ in Auftrag gegeben, die Ende April veröffentlicht wurde. Die Beratungsfirma INTERFACE Politikstudien aus Luzern stellt der Bundesregierung mit einigen Einschränkungen insgesamt kein schlechtes Zeugnis aus. Drei große Kritikpunkte sind: 1. „Die strengen Schutzmassnahmen in Form von Ausgangs- und Besuchsverboten führten zu grossem Leid bei den Bewohnern/-innen von Alters-, Pflege- und Betreuungsinstitutionen und den Angehörigen sowie zum Teil zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen bei den Betroffenen.“ 2. Kritisiert wurden die Schulschließungen im ersten Lockdown im Frühjahr 2020, obwohl diese „im internationalen Vergleich in der Schweiz von kürzerer Dauer waren“. 3. wird das Verbot von nicht dringend angezeigten (elektiven) Eingriffen im Gesundheitsbereicht in Frage gestellt – zumal die Kantone ohnehin verpflichtet sind, Notfalleingriffen Vorrang zu geben. Der Bericht endet mit fünf Empfehlungen, deren letzte zu einem ganzheitlicheren Zugang zur Pandemiebewältigung rät. Unter anderem soll „das BAG vermehrt Fachpersonen aus Psychologie, Pädagogik, Politikwissenschaft, Ethik, Wirtschaft, Sozialer Arbeit usw. in die Pandemie-Vorbereitung und in die Massnahmenplanung einbeziehen“. (BAG, 26. April 2022)
Hingegen wird ein Evaluierungsbericht des Sachverständigenrates in Deutschland noch vor der Veröffentlichung „geleakt“ und angeschossen. Eine Redakteurin der Süddeutschen Zeitung urteilt, der Bericht sei „extrem voreingenommen“, weil einige „Virologen“ ihn begutachtet hätten. Das ist bemerkenswert, weil es ja gerade darum gehen sollte, dass nicht nur Virolog*innen, Infektiolog*innen und Epidemiolog*innen die Analyse der Gesamtwirkung der Pandemie-Politik vornehmen, sondern, wie im Schweizer Evaluierungsbericht empfohlen, ein breites Spektrum von Fachleuten aus unterschiedlichsten Disziplinen. Möge der Bericht die von befürchtete Interdisziplinarität und Ganzheitlichkeit am Ende wahren, wir sind gespannt! Facebook-Kommentar von Martin Sprenger.